Will man die Aussagen beim jüngsten online Luncheon Roundtable der Rhön Stiftung zusammenfassen, müsste der Tenor in etwa so lauten: Die so genannten Level1i-Krankenhäuser, einer der Eckpfeiler der Krankenhausreform, sind eine richtige und wertvolle Idee zur Weiterentwicklung der Patientenversorgung in Deutschland – eine Idee allerdings, die flexibel an die jeweiligen Bedingungen angepasst werden muss. Eine Teilnehmerin drückte es so aus: „Ich glaube, dass das Konzept funktionieren kann; aber manches, was sich am Schreibtisch schön liest, ist in der Praxis dann mit Problemen behaftet.“
Was die Probleme sind und wie sie angegangen werden könnten, darüber diskutierten:
- Prof. Dr. Tom Bschor, Leiter der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung
- Dr. Dorothea Dreizehnter, Vorsitzende der Geschäftsführung Gesundheit Nord Klinikverbund Bremen
- Dr. Michaela Lemm, Geschäftsführerin des Institute for Health Care Business (hcb)
- Susanne Müller, Geschäftsführerin Bundesverband MVZ
- Prof. Erika Raab, Geschäftsführerin Klinikum Groß-Gerau
- Sibylle Stauch-Eckmann, CEO Ortheum Gruppe, Aufsichtsratsmitglied amedes Gruppe
sowie von der Rhön Stiftung Stifter Eugen Münch, Prof. Bernd Griewing, Vorstand, Prof. Andreas Beivers, Leiter wissenschaftliche Projekte und Geschäftsführerin Annette Kennel.
Zur Erklärung: In der anstehenden Krankenhausreform, deren Ziel auch eine geringere Zahl von Krankenhäusern ist, sollen strauchelnde Kliniken nicht einfach geschlossen, sondern nach Möglichkeit in neuartige Level1i-Krankenhäuser umgewandelt werden. Und zwar als sektorenübergreifende Versorger, die stationäre Leistungen der Grundversorgung wohnortnah mit ambulanten fach- und hausärztlichen Leistungen verbinden. So soll einerseits die Versorgung in ländlichen Gegenden gewährleistet werden, wo es keine großen Krankenhäuser gibt und freiwerdende Arztsitze immer schwieriger zu besetzen sind; zum anderen soll kleineren Häusern die Chance eröffnet werden, trotz finanzieller und personeller Nöte am Markt zu bleiben. Dafür sind sie mit größtmöglicher Flexibilität ausgestattet, wie ein Teilnehmer erklärte: „Level1i-Kliniken können ambulant operieren, müssen es aber nicht; sie können ganz viel machen und auch ganz viel lassen. Sie haben große Freiheiten.“
Wie die Hybrid-DRGs in der Praxis wirken, bleibt abzuwarten
Auch für die Level1i-Häuser wurde das Instrument der Hybrid-DRGs geschaffen, eine sektorengleiche Vergütung, die unabhängig davon gezahlt wird, ob die Leistung ambulant oder stationär erbracht wurde. Was die erst zum Jahresanfang 2024 eingeführten Hybrid-DRGs tatsächlich bewirken werden, bleibt abzuwarten, zum Selbstläufer werden sie die Level1i-Häuser aber wohl kaum machen. Ein Teilnehmer berichtete jedenfalls, dass man in seinem schon vor Jahren etablierten intersektoralen Versorgungszentrum an Grenzen stoße: „Die Akzeptanz der Bevölkerung und der Politik vor Ort haben wir erreicht, aber die Finanzierung macht uns große Sorgen.“ Denn durch die Portfoliobereinigung fielen Einnahmen weg, die nicht durch ambulante Operationen kompensiert werden könnten. Der größte Posten im finanziellen Minus resultiere aus der nicht gut funktionierenden Abverlegung älterer Patienten in eine Pflegeeinrichtung. „Diese Fälle sind nicht auskömmlich.“ Und dies berge die Gefahr von Fehlanreizen, weil sich Häuser zur Kompensation dann wieder lukrativere Fälle suchen könnten.
Diese Sicht bestätigte ein anderer Teilnehmer: „Wir sehen im Moment noch nicht, wie man mit ambulantem Operieren und Hybrid-DRGs in eine wirtschaftliche Situation kommen kann, da sind wir noch auf kreative Lösungen angewiesen.“ Ein problematisches Thema sei auch die Mindestbesetzung der Häuser: Sei nachts kein Arzt anwesend, fehle nicht nur die Akzeptanz bei der Bevölkerung, sondern auch bei zuweisenden Einrichtungen.
Offene Fragen: Notfallversorgung, Abverlegung, Ausbildung …
Zu den vielen Fragen, die sich vor Ort in der Praxis stellen, gehört nach Auskunft eines weiteren Teilnehmers die Ausstattung der Notfallversorgung in einem Level1i-Haus: „Sie muss anders definiert sein als etwa in einer Uniklinik, weil die Fälle trivialer sind.“ Ungelöst sei bislang auch das Thema Patientenverfügung: Viele ältere Patienten äußerten darin den Wunsch, nicht in große Häuser verlegt zu werden. Aber: „Als kleines Haus, das Patienten aufnehmen muss, braucht man eine Abverlegungsmöglichkeit, wenn man feststellt, dass dieser Patient hier nicht am richtigen Ort ist. Das Thema treibt uns um.“
Er sei froh, „dass das Modell der Level1i-Häuser endlich angestoßen wurde“, berichtete ein Teilnehmer, der schon länger in der intersektoralen Versorgung unterwegs ist, zumal man dadurch sogar Vorteile zumindest bei der Personalgewinnung in der Pflege sehe: „Seitdem wir teilambulante Stationen haben, die nur acht Stunden geöffnet sind, haben wir kein Personalproblem mehr.“ Bedauerlich sei jedoch, dass die Komplexität eher zu- als abnehme: „Es war früher schon komplex, und mit der intersektoralen Versorgung wird noch eine Schippe oben drauf gelegt.“
Ein anderer Teilnehmer, der ebenfalls schon lange vor der Konzeptionierung der Level1i-Versorgung mit mehreren intersektoralen Projekten zu experimentieren begann, äußerte sich ähnlich ambivalent: „Wir sind auf einem guten Weg, der aber ein mühsamer Weg ist.“ Mühsam deshalb, weil es aus vielen Richtungen zum Teil starken Widerstand gebe, gerade auch von den betroffenen Medizinern. Sorgenvoll beschrieb er die Personalsituation in den kommenden Jahren – ganz allgemein und im Besonderen in den Level1i-Häusern: „Viele Ärzte gehen in den nächsten Jahren in Ruhestand, und die nachfolgende Generation ist nullkommanull auf Digitalisierung und Telemedizin vorbereitet.“ Er sehe wegen des Widerstands von Ärzteorganisationen auch keine Chance, die fachärztliche Ausbildung in absehbarer Zeit in Level1i-Häuser zu integrieren. Dem pflichtete ein Mitdiskutant bei: „Wir machen uns große Sorgen um die Ausbildung, denn es zeigt sich, dass viele junge Ärzte keine Lust auf dieses Hopping haben.“ Positiver schätzte es ein Teilnehmer in Bezug auf fertig ausgebildete Ärzte ein: „Viele wünschen sich ein Arbeitsumfeld mit geregelter Arbeitszeit und im Unterschied zur Klinik mit kleineren, überschaubaren Teams.“
Alles andere als trivial: Die Steuerung der Patienten
Einigen Raum nahm das Thema Fallsteuerung ein. Die Schwierigkeit dabei brachte ein Teilnehmer so auf den Punkt: Welche Versorgungsintensität (ambulant, semiambulant, stationär) ein Patient benötige, müsse man im Voraus (ex ante) entscheiden, während das Abrechnungssystem erst ex post ansetze; oft ergebe sich aber erst im Laufe der Behandlung, wie stabil ein Patient sei und – davon abhängig – wie sein weiterer Weg im System verlaufe. Aus der Erfahrung mit einem eigenen Hybridmodell plädierte der Experte dafür, zuerst die Fallsteuerung vorzunehmen, und zwar in enger Abstimmung mit den niedergelassenen Ärzten, und erst dann das Abrechnungssystem zuzuordnen. „Das muss alles aus einer Hand von einem Arbeitgeber kommen. Bevor das nicht funktioniert, werden wir nur teure Doppelstrukturen am Leben erhalten und noch mehr Personal brauchen, um diese Komplexität zu steuern.“ Ein Teilnehmer unterstrich das mit seiner eigenen Erfahrung in einem ambulanten Operationszentrum mit Belegbetten: Die Betreuung der Patienten nach der ambulanten OP übernahm dort eine MFA, nur Menschen mit Bedarf für höhere Betreuungsintensität wurden in die angeschlossene Belegklinik gebracht, wo Pflegekräfte bereit standen; dieser zweite Weg entspräche der Versorgung in einer Level1i-Klinik, die aus demographischen Gründen mit stark steigenden Fallzahlen rechnen könne: „Wir werden in Zukunft viele Patienten haben, für die eine rein ambulante Versorgung nicht ausreicht, die aber auch keine Uniklinik oder ein klassisches Krankenhaus mit allen Vorhaltungen brauchen.“
Ein Teilnehmer merkte jedoch an, dass es einen Bedarf für Level1i-Betten tendenziell vor allem auf dem Land gebe, aber wohl kaum in dicht besiedelten Regionen. „In Ballungsräumen ist es wichtig, dass stationäre Betten geschlossen werden. Lasst uns deshalb eine optimal verzahnte ambulante und stationäre Versorgung etablieren – unter Einschluss des Pflegesektors.“
Von der „Neudefinition des Krankenhausbegriffs“
Neben den versorgungspraktischen Aspekten diskutierten die Teilnehmer des Luncheon Roundtable auch über die politische Dimension der Level1i-Häuser. Einer gab die Beobachtung wieder, die Einrichtungen würden von politischen Entscheidungsträgern als „eine Art Schutzschild“ benutzt, um der Bevölkerung sagen zu können: Wir schließen unser Krankenhaus ja gar nicht, wir wandeln es nur um. „Das wird uns irgendwann auf die Füße fallen“, befürchtete der Teilnehmer. Ein anderer sprang ihm bei, weil er ähnliche Erfahrungen mit einem Kostenträger machte, der ein in massiver Schieflage befindliches Haus erhalten wollten: „Ich dachte, ich steh´ im Wald: Wenn wir am Ende doch alles unverändert lassen, können wir uns die ganze Energie sparen.“ Wichtig war in dem Zusammenhang auch die Klarstellung eines Kundigen: „Es ist definitiv nicht Ziel der Reform, dass sich jetzt MVZs in Level1i-Einrichtungen umwandeln und dafür noch Betten aufbauen.“
Fast einhellig gaben die Teilnehmer der Rhön-Runde zu Protokoll, dass das Ziel der Reform sei und bleiben müsse, nicht mehr Krankenhäuser zu haben, sondern weniger, nicht mehr Betten zu unterhalten, sondern weniger, stattdessen Versorgung zu bündeln und durch intersektorale Einrichtungen ambulante Versorgungslücken schließen, die von den KVen nicht mehr geschlossen werden.
Die Mehrheit der Teilnehmer warb dafür, den Freiraum des neu entstehenden Rechtsrahmens zu nutzen. „Wir haben jetzt im Grunde genommen eine völlige Neudefinition des Krankenhausbegriffs: Es ist nun nicht mehr medizinisch definiert, sondern geographisch“, erklärte ein Teilnehmer. Und an diesem „neuen Schutzraum für Patienten“ bestehe jetzt die Chance, so viele ambulante Patienten wie möglich anzusprechen, um dann deren weiteren Weg durchs Gesundheitssystem zu steuern, und zwar in jeder beliebigen Form von kooperativen Verbünden bis zum gemeinsamen Arbeitgeber für alle Leistungserbringer. „Ich finde es völlig richtig, dass die Regierungskommission viele Fenster offengelassen hat, anstatt durch allzu viele Vorgaben einem Perfektionismus zu huldigen. Man muss jetzt das Risiko eingehen, dass mutige Player eigene Wege gehen und Lösungen erarbeiten, die im Erfolgsfall als lebende Beispiele für Veränderungen dienen können.“ Dem pflichtete einer der Zuhörer in großer Überzeugung bei: „Wir sollten nicht alles totregulieren, indem wir für alle denkbaren Situationen Regelungen antizipieren. Es müssen sich jetzt Partner finden, die loslegen und ausprobieren.“