Kategorie Versorgungsforschung:
Dr. Dmitrij Achelrod
Behandlung verbessert, Kosten reduziert:
Gesundheitsökonomische Evaluation von Telemonitoring für COPD in Deutschland
dotiert mit 20.000 Euro
Atemnot ohne jegliche körperliche Anstrengung – für Patienten mit einer fortgeschrittenen COPD (chronisch obstruktiven Lungenerkrankung), gehört dies ebenso zum Alltag wie permanenter Husten und „Auswurf“. Ihre Lunge ist dauerhaft geschädigt („chronisch“), die Gefäße sind verengt („Obstruktion“). Die Beschwerden verstärken sich im Lauf der Zeit und bestimmen zunehmend das Leben der Patienten. Am Ende ist kein normaler Alltag mehr möglich, die Patienten sind auf Hilfe angewiesen und schließlich pflegebedürftig. Die Erkrankung ist häufig: Allein in Deutschland sind rund sechs Millionen Menschen betroffen – Tendenz steigend. Damit verursacht die COPD nicht nur viel Leid, sondern auch hohe Kosten für das Gesundheitssystem.
Eine Heilung ist nicht möglich. Im Vordergrund der Therapie steht daher, die Lebensqualität zu erhalten und den Krankheitsfortschritt zu verlangsamen. Besonders gefährlich ist die „Exazerbation“, eine akute Verschlechterung des Zustands. Sie kann durch einfache virale Infekte oder auch Umwelteinflüsse wie zum Beispiel Hitze oder Kälte ausgelöst werden. In dem Fall ist meist eine Behandlung im Krankenhaus nötig. Durch die Erkrankung ist der Patient Dauergast in der Praxis seines Arztes und oft auch Stammgast im Krankenhaus.
Um die Situation der Patienten zu verbessern, kommt das Telemonitoring zum Einsatz. Das größte Projekt bundesweit derzeit wird von der AOK Bayern und SHL Telemedizin durchgeführt. Die Patienten erhalten je nach Gesundheitszustand bis zu zwei Monitoring-Geräte (Spirometer und Pulsoxymeter), die mit einem internetfähigen Endgerät, der Telemonitoring-Konsole, verbunden sind. Damit messen die Patienten mindestens einmal pro Woche ihre Vitaldaten, die automatisch an das Telemonitoring-Center übertragen und dort in einer elektronischen Patientenakte gespeichert werden. Das Telemonitoring-Center ist durchgängig besetzt. Zusätzlich beantworten die Patienten mit einem Touchpad an der Konsole wöchentlich COPD-spezifische und generelle Gesundheitsfragen, die ebenfalls in die Patientenakte im Telemonitoring-Center einfließen. Außerdem finden in individuell vereinbarten Zeitabständen Telefongespräche statt.
Nehmen Patienten an diesem Projekt teil, wird zudem zu Beginn mit dem behandelnden Arzt festgelegt, welche konkreten Schritte im Falle einer Verschlechterung des Gesundheitszustands erfolgen müssen. Dies wird ebenfalls in der Akte hinterlegt. Ein Algorithmus berechnet auf Grundlage der gesammelten Patientendaten die Wahrscheinlichkeit einer akuten Verschlechterung. Ist diese hoch, wird der Patient vom Telemonitoring-Center telefonisch kontaktiert, um die Medikation anzupassen bzw. andere vordefinierte Maßnahmen zu treffen.
Doch nützt das Telemonitoring tatsächlich? Der Nachweis fehlte bisher. Dmtrij Achelrod hat ihn mit seiner Studie erbracht, die er im Rahmen seiner Dissertation am Hamburg Center for Health Economics mit seinen Kollegen Tom Stargardt und Jonas Schreyögg durchgeführt hat. Mit einem klaren Ergebnis: Ja, Telemonitoring trägt dazu bei, die Behandlung der COPD-Patienten deutlich zu verbessern – bei gleichzeitiger Senkung der Kosten. Für die Studie untersuchte der Wissenschaftler die Krankenkassen-Abrechnungsdaten von 651 Projektteilnehmern und 7.047 Patienten aus der Regelversorgung und evaluierte Leistungsinanspruchnahme, Mortalität und medizinische Kosten über eine Periode von zwölf Monaten. Dabei setzte Achelrod anspruchsvolle statistische Verfahren ein, um eine unverzerrte Aussage über den Effekt des Telemonitorings treffen zu können.
Die Ergebnisse zeigen, dass durch das Telemonitoring das Mortalitätsrisiko der Patienten um 49 Prozent gesenkt wurde. Die Inanspruchnahme von Leistungen sank ebenfalls: Krankenhausaufenthalte und das Aufsuchen einer Notaufnahme waren seltener erforderlich. Die positiven Effekte waren bei Patienten mit sehr schwerer COPD am stärksten ausgeprägt. Auch ökonomische Vorteile konnte Achelrod nachweisen: Die Leistungsausgaben pro Patient reduzierten sich um insgesamt 895 Euro. Zwar stiegen die ambulanten Ausgaben (70 Euro) und die Anzahl der verschriebenen Pharmazeutika (1,76 Verschreibungen), doch die Krankenhauskosten sanken um 1.056 Euro. „Dies ist die erste deutsche Studie, die einen klaren klinischen und ökonomischen Mehrwert eines großangelegten Telemonitoring-Projekts für COPD demonstrieren konnte“, fasst Achelrod zusammen und fügt hinzu: „Das Programm ließe sich problemlos auf weitere Kassen und Versorgungsregionen skalieren.“
Die Veröffentlichung der Arbeit finden Sie HIER
Begründung der Jury:
„Die Arbeit von Achelrod, die im European Journal of Health Economics publiziert wurde, überzeugt durch ihre außerordentliche methodische Qualität, die Verwendung von Routinedaten ist vorbildlich für die Versorgungsforschung“, fasst Jurymitglied Professor Stefan Felder die Meinung der Jury zusammen.
Um die Daten der Teilnehmer an der Studie mit denen der Patienten vergleichen zu können, die regulär behandelt wurden, kamen neue Methoden der Risikoadjustierung zum Einsatz („Entropy Balancing“ und „Dif-Dif-Schätzer“). Achelrod konnte belegen, dass durch Telemonitoring innerhalb eines Jahres die Mortalität um 3%-Punkte und gleichzeitig die gesamten Versorgungskosten um 895 Euro gesenkt werden konnten. „Bei derzeit knapp sechs Millionen COPD-Patienten ist die Arbeit damit von großer Bedeutung und schlägt eine Brücke zwischen Medizin und Gesundheitsökonomie“, betont Jurymitglied Professor Jochen Gensichen.
Dmitrij Achelrod
Nach seinem Studium der Betriebswirtschaft in Deutschland und Frankreich absolvierte Dmitrij Achelrod seinen Master in Gesundheitsökonomie an der London School of Economics (LSE). Seine anschließende Promotion am Hamburg Center for Health Economics (Universität Hamburg) und am Health Economics Research Centre (HERC, Oxford University) schloss er zum Thema „Measuring the Value of Healthcare Innovation” in 2016 mit “summa cum laude” ab. Achelrod sammelte Berufserfahrung in Start-ups sowie in Konzernen in den Bereichen der digitalen Medizin, Medtech und Consulting.
Er ist Autor mehrerer wissenschaftlicher Publikationen und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem Stipendien der Studienstiftung des deutschen Volkes sowie den Brian Abel Smith-Preis der LSE. Seit 2016 ist er für das Start-Up QuantCo als Data-Scientist für quantitative Modellierung im Gesundheitssektor tätig. Achelrod ist zudem ehrenamtliches Mitglied des Komitees bei Young Forum Gastein (European Health Forum Gastein).